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 Von Königen und Huren-Der versunkene Friedhof am Alsergrund
dunkelland Offline




Beiträge: 154

05.06.2007 22:04
RE: Der versunkene Prachtfriedhof am Alsergrund Antworten

Von Säufern, Königen und Huren

Der verlorene Friedhof am Alsergrund
(W.Brenner)


Wenn auch kaum jemand freiwillig es besuchen möchte, so ist das allgemeine Krankenhaus, schlicht AKH genannt, jedem Wiener ein Begriff. Mit all seinen Höfen, Zubauten und Kliniken durchzieht es den neunten wiener Gemeindebezirk und bietet in seinen ältesten, noch erhaltenen Teilen dem Besucher einen geheimnisvollen Blick in längst vergangene Tage. Der Narrenturm – mit seiner seltsamen Architektur und der dunklen Vergangenheit – er wäre eine Reise wert. Mystische Kräfte soll er bergen und alte Geheimnisse wahren. Diese letzten Zeugen einer versunkenen Welt lassen nur erahnen, wie es einst in dieser Stadt ausgesehen haben mag und kaum einer seiner Bewohner kann heute noch etwas über ihre Anfänge sagen. So ist auch einer der prächtigsten Friedhöfe Wiens, der kaiserliche Gottesacker, in Vergessenheit geraten, mit all seinen Geschichten und seinen Toten. Wer heute die zweite Universitätsklinik, die Fellner Klinik, betritt, ahnt nicht, dass er sich bereits auf geweihtem Boden befindet, über uralte Grabstellen geht.

Die Anfänge dieses Friedhofes reichen bis in das Jahr 1569 zurück, als sich dort noch Gerstenäcker ausdehnten und Vieh friedlich weidete. Erzherzog Karl ließ das Areal vom St. Laurenz Kloster, ein Nonnenkloster, welches am Fleischmarkt ansässig war, kaufen und als Friedhof ausrichten. Die Geschichte des „kaiserlichen Gottesackers vor dem Schottentore“ ist dabei eng mit den religiösen Zwistigkeiten jener Zeit verwoben, Katholiken und Protestanten erhoben im Laufe der Jahre gleichermaßen Anspruch darauf. 1598 wurde ein Teil des Friedhofes protestantisch, später sollten die Anhänger Luthers für einige Zeit sogar in der Überzahl sein. Sie legten den Grundstein zum Bestehen dieses Gottesackers, eine Mauer sollte den Friedhof vor Weidevieh und wildem Getier schützen. Schon im Jahre 1590 wurden prachtvolle Grüfte, sogenannte Blindfehlungen, errichtet, ein Turm mit drei Glocken zum Einläuten der Begräbnisse entstand auf Wunsch von Lazarus Henckl der Ältere von Donnersmarck, einer der wohl vermögensten Bürger seiner Zeit. Dieser Turm überstand, im Gegensatz zum Rest des Friedhofes, erstaunlicher Weise auch das Jahr 1683, als die Türken gegen Wien vorrückten und dabei so manche Vorstadt geschliffen wurde. Erst im Jahre 1784 musste der Glockenturm weichen. Seine Erbauung hatte 1500 Gulden gekostet, eine gewaltige Summe in jener Zeit.

1683 also war von dem Friedhof nicht mehr viel übrig und es fehlte zunächst am Nötigsten um ihn wieder aufzubauen – den Menschen. Krieg, die nachfolgende Hungersnot und auch die Pest von 1679 hatten viele Familien hinweggerafft, die wiener Bevölkerung auf eine harte Probe gestellt. Erst um 1700 erstrahlte der alte Gottesacker wieder in voller Pracht, um die 8000 Gulden hatte der Wiederaufbau verschlungen, vorwiegend bezahlt von protestantischen Kaufläuten aus Hamburg und Leipzig. Beschreibungen geben Hinweise darauf, wie man sich diesen Gottesacker zu Beginn des 18. Jahrhunderts vorzustellen hatte:

„Die ganze Gegend zwischen der heutigen Rotenhausgasse und der Garnisongasse muss einen einzigartigen Anblick geboten haben, denn zwischen den Kreuzgängen der Grüfte erhoben sich Reihen handgeschmiedeter herrlicher Barockkreuze, auf die manchmal das Porträt des Verstorbenen oder das Bild seines Schutzheiligen gemalt war.

Mitten im katholischen Friedhof stand eine Kapelle, die alsbald ein berühmter Wallfahrtsort der Klein-Mariazeller Muttergottes wurde. Sie hatte drei Altäre, und ihre Innenwände waren dicht mit Votivbildern behängt, die schwarz mit dünnen Goldstreifen gerahmt gewesen sind.“

Wandert man heute durch den neunten Bezirk, so hat man es oft schwer, auch nur einen Baum, einen grünen Strauch in dem Häusermeer zu entdecken. Etwas Fantasie braucht es schon, will man sich die friedlichen Weingärten vor Augen halten, die damals noch anstelle der Mariannengasse, der Lazarettgasse und vielen anderen Strassen die Gegend zierten. Wen also wundert es, dass so mancher Wiener auch gerne dem vergorenen Rebensaft zusprach? Der Durst, so geben alte Akten Auskunft, machte dabei auch vor dem Mesner unseres Friedhofes nicht halt, einem gewisser Adam Heinrich Waßner. Ein unguter Geselle soll er gewesen sein, der im Streit mit dem Totengräberknecht der Maria Natter lag, weil er die „Sammel-Pixen“ öfters angegriffen, für das Rochus- und Sebastiansbildnis im „Capelleri“ Gelder gesammelt habe, den Ertrag aber verschwiegen habe, genauso wie die Kosten. Doch damit noch nicht genug: „Einer Partey habe er drei Gulden oder mehr herauspracticiret“, heißt es, ein „erschröcklicher Gotteslästerer“ soll er gewesen sein und ein Säufer, der in der Schänke „Zum guelden Lämbl“ in der „Alstergassn“ nur Zwölfkreuzerwein trinke und „mit unehrbaren Weibsbildern Gemeinschaft mache. Schwer bezecht komme er am nächsten Tag heim, traktiere sein Weib mit Schlägen und Fußtritten, reiße gleich ein Stuhlbein aus und drohe, Frau und Tochter den Kopf zu zerspalten.“

Als er sich seiner Tochter auf dem Friedhof auch noch „ungebührlich genähert“ haben soll, warf man ihn kurzerhand hinaus.

Matthias Hilleprandt bekam die Stelle als Mesner, „welcher vor türkischen Belagerung bey unsere Lieben Frauen Hülff auf der Windmüll Messner gewesen.“ Allerdings dürfte aber auch ihm diese Arbeit nicht recht bekommen sein, schon bald wird auch über sein Treiben Buch geführt. Dass er stehle und zu jeder Zeit sich betrinke, mahnt die Akte, dass er er wiederholt schlecht über seinen Dienst zu sprechen war, ja der Teufel selbst habe ihn geritten, hier anzufangen, habe er verkündet. Auch wollte er niemals die Trinkgelder mit dem Totengräber teilen. Schließlich drohte man ihm „die Straf mit der Fidl vor dem Gottesacker zu stehen“ an. Ob diese Maßnahme geholfen hat? Wir wissen es nicht. Ruhe jedenfalls wollte niemals so richtig einkehren, in diesen heiligen Ort, der so viele Geschichten mit sich genommen hat. Da ist auch die Erzählung der Magarete Berger aus Pressburg, ein Freudenmädchen, das zu unerwartet hohem Ruhm kommen sollte, um einsam zu sterben.

Im Jahrte 1814 hatte sie einer der damals größten Mädchenhändler, der Pole Leiser Fränkel nach Wien bringen lassen und so schön soll sie gewesen sein, dass Fränkel sie nach ihrer Ankunft in Wien kurzerhand einsperrte, um sie für eine „besondere Gelegenheit aufzusparen“.

Der Sturm, den Napoleon einst entfacht hatte, war vorüber gegangen und Europa wurde einer neuen Ordnung unterworfen. Die Welt blickte in jenen Tagen nach Wien, wo der Kongress tanzte, wenn auch nicht immer nur mit ehrbaren Damen. Kaum Anteil an solcherlei Vergnügungen hatte König Friedrich VI von Dänemark gehabt, ein Mann, dem die Natur nur wenige Vorzüge geschenkt hatte. Als Albino zur Welt gekommen, musste er seine Auffälligkeiten schweren Herzens durchs Leben tragen und zeichnete sich zudem noch durch große Schüchternheit und wenig Intelligenz aus. Die Damenwelt missachtete ihn im sträflich.

Eines Tages gelang es unserem Friedrich, trotz steter Bewachung, aus der Hofburg zu entwischen, den Kohlmarkt zu erreichen und von dort gemütlich über die Kärntnerstrasse zu bummeln, bis - ja bis er auf Höhe der Johannesgasse eine Bekanntschaft machte, die sein Leben nachhaltig verändern sollte. Gleich vorweg – er hat niemals erfahren, wer Margarete Berger wirklich war und dass sie ihn damals nur anlächelte, weil Leiser Fränkel den König zuvor erkannt und seiner Schönen den Auftrag dazu erteilt hatte. Eine merkwürdige Liäson entspann sich aus dieser Bekanntschaft, die Friedrich Glückseeligkeit, Leiser eine Menge Geld und Margarete den Beinahmen „Königin vom Tandelmarkt“ (als Verballhornung des Wortes Dänemark) einbrachte. Interessant ist, dass Margarete ihren Friedrich letztlich doch geliebt haben dürfte, nachdem dieser, krank vor Eifersucht und mit dem Mut, wie er nur durch Kognak wachsen kann, eines Tages mit einem Stock bewaffnet über sie herfiel und die Flüchtende brüllend die Treppe ihres Hauses hinauf prügelte. Vielleicht war dieser Moment der ehrlichste in beider Leben, wir werden es wohl nie erfahren. Im Jahre 1815 jedenfalls hieß es Abschied nehmen, der König musste zurück in seine Heimat. Viel wurde angeblich geweint. Er schenkte Margarete Berger 20 000 Gulden, von denen 10 000 an Leiser Fränkel gingen. Den Rest brachte die Unglückliche in nur wenigen Monaten durch. Schon 1816 war sie bei der Polizei wieder als Prostituierte gemeldet, die venerische Krankheit befiel sie ebenso wie die Trinksucht. Für nur wenige Kreuzer musste sich die „Königin vom Tandelmarkt“ dann im Stadtgraben verkaufen. Geblieben ist ihr nur der Titel. Elendig und arm hat sie ihr Leben 1845 schließlich ausgehaucht, im allgemeinen Krankenhaus zu Wien. Über das Grab ist heute nichts mehr bekannt, irgendwo wurde sie wohl verscharrt auf unserem Friedhof, der selbst schon lange verschwunden ist.

Langsam senkt sich die Sonne über Wien, nimmt wieder einen Tag mit sich fort. Nur noch wenige Medizinstudenten sind jetzt am Campus anzutreffen, der abendliche Verkehr verstummt, Ruhe kehrt ein in die Alser Strasse. Noch einmal wende ich mich um, betrachte die Häuser, an deren Platz vor so langer Zeit sich der Friedhof einst befunden haben muss, denke an Heinrich Waßner, Matthias Hilleprandt und Margarete Berger, die vielleicht immer noch hier liegen, irgendwo, zwischen all den Anderen, die von der Zeit aus dem Gedächtnis der Menschen in eine dunkle Vergangenheit gespült wurden..

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