Im Gegensatz zu seiner Mutter, Kaiserin Elisabeth, konnte der Kronprinz Österreichs an dem, im 19 Jh. so populären Spiritismus nie sonderlich viel Gefallen finden. Vielmehr versuchte er, Scharlatanen und Schwindlern auf die Spur zu kommen und trat den Gegenbeweis mit durchaus drastischen Mitteln an. In dem folgenden, von Rudolf verfaßten Artikel, beschreibt der Kronprinz eine solche Aufdeckung:
DIE GEISTERFALLE
12. Februar 1884
Baron Lazar Hellenbach, der eine Reihe von Schriften publiziert hat, in welchen mit großem Geiste die Wahr- haftigkeit und die Berechtigung der Spiritistengeister verteidigt wird, hatte eines der berühmtesten „Medien", das den Namen Bastian angenommen hat, nach Wien zitiert und dieses Medium zum Zwecke eingehender Ex- perimente dem Erzherzog Johann zur Verfügung gestellt. Dieser ersuchte den Kronprinzen Rudolf, der bereits früher eine Anzahl von — negativen — Erfahrungen über den Spiritismus gesammelt hatte, an den Experimenten teil- zunehmen. Es wurden im ganzen drei Seancen abgehalten. Die ersten zwei Sitzungen gingen vor sich, ohne daß einer der Anwesenden einen ernsten Versuch gemacht hätte, der Sache auf den Grund zu kommen. Dies machte das Medium offenbar sehr sicher, es begegnete scheinbar keinem Mißtrauen.
Das Hauptstück des Spiritismus besteht aber in dem Erscheinen von Geistern, und auch dieses wurde produ- ziert, in reicher Auswahl produziert. Aber schon waren die Vorbereitungen getroffen, um eines dieser Geister habhaft zu werden, und in der dritten Sitzung am 11. Fe- bruar 1884, in welcher außer dem Kronprinzen, dem Erz- herzog Johann, dem Erzherzog Rainer noch Fürst Batthy- äny, FML. Baron Schloissnig und Oberstleutnant Baron Mensshengen, Baron Hellenbach und selbstverständlich das „Medium*' Bastian anwesend waren, klappte die Geisterfalle zu. Das begab sich folgendermaßen:
Die erlesene Gesellschaft befand sich, wie gesagt, in einem beleuchteten Gemache. Aus demselben gelangt man in ein zweites, kleines Gemach, das für Bastian bestimmt war. Gewöhnlich sind die beiden Räume durch zwei Doppeltüren getrennt. Es war also eine innere und eine äußere Doppeltüre vorhanden. Zum Zwecke der Produk- tion wurde die innere, in das Gemach, wo die Herren ver- sammelt waren, gehende Doppeltür ausgehängt. An ihrer Stelle befand sich ein schwerer Teppichvorhang, eine so- genannte Portiere. Die zweite, in das für Bastian be- stimmte Zimmer gehende Doppeltüre war jedoch nicht ausgehängt. Die beiden Flügel standen also offen, so daß Bastian von dem Gemache, wo die Herren saßen, nur durch den Vorhang getrennt war.
Diese Doppeltür nun, die nicht ausgehängt worden war, deren beide Flügel jedoch geöffnet waren, und die dem Medium Bastian, der sie schon bei den zwei ersten Sitzungen gesehen hatte, keinerlei Mißtrauen einflößte, wurde mit Hilfe eines kunstgeübten Schlossers als Geister- falle eingerichtet. Es wurden nämlich an den beiden Flü- geln der Türe oben zwei Federn so angebracht, daß diese Flügeln zusammenklappen mußten, wenn an ihnen mittels einer Schnur gezogen wurde. Und waren sie einmal zu- geklappt, so konnten sie nicht ohne größte Anstrengung wieder geöffnet werden, denn die Federn hielten fest. Von diesen Federn wurde die Leitschnur obenweg fast unsichtbar in das Gemach geführt, wo die Herren die Kette bildeten. An der Wand fortlaufend ging die Schnur dann hinab, so daß sie leicht mit der Hand erreicht werden konnte. Und damit sie nicht auffalle, wurde sie an ihrem unteren Ende mit einem Stück Wachs an die Tapete fest- geklebt, mit Wachs eben, damit das Abziehen der Schnur leicht vonstatten gehe.
Das alles wurde genau ausgeführt, und am Morgen des 11. Februar besichtigten Kronprinz Rudolf und Erz- herzog Johann die Vorrichtung und ließen sie probeweise wiederholt spielen. Das Werk erschien vollständig ge- lungen. Verabredet wurde noch, daß der Kronprinz und der Erzherzog Johann am Abend ihre Plätze nebenein- ander nehmen sollten, und zwar mit dem Rücken gegen jene Wand, wo die Schnur hinabhing. Wenn es Zeit sein sollte zu ziehen, hatte der Kronprinz das Signal durch Aufstehen von seinem Sitze zu geben, und in demselben Moment sollte Erzherzog Johann sofort die Schnur in Bewegung setzen. Die Geisterfalle war aufgestellt; sehen wir nun die weitere Entwicklung des kleinen Dramas. In aristokratischen Kreisen wird die Szene folgendermaßen geschildert:
Das Medium Bastian war zu der Seance, wie es in sol- cher Gesellschaft schicklich ist, in tadellosem schwarzen Frack erschienen. In diesem feierlichen Kostüm nahm er hinter dem oben geschilderten Vorhange auf einem Sessel in dem ganz finsteren Nebengemache Platz. Das Gemach, in welchem die Herren saßen, war zwar schwach, aber hinreichend erleuchtet, um alles zu sehen, was in dem- selben vorging.
Die Händekette wurde von den sieben Herren gebildet. Eine Pause. Dann erzitterte leise der Teppichvorhang. Eine verschwommene Gestalt tritt unhörbar heraus. Der erste Geist. Man kann kaum die Umrisse unterscheiden. Er bewegt sich langsam. Die Figur ist auffallend groß. Er verschwindet dann hinter dem Vorhang.
Dann erscheint, immer aus dem dunklen Raum hinter dem Vorhang kommend, ein zweiter Geist. Man glaubt ein weibliches Wesen zu unterscheiden. Er ist kleiner als der erste Geist. Aber auch er ist sehr undeutlich und sehr ver- schwommen.
Es zeigen sich hierauf noch drei andere Geister, Männ- lein und Weiblein, nach der Kleidung zu schließen, die sie anhatten, und nach ihrer Größe. Sie wurden übrigens immer deutlicher in ihren Umrissen. Sie verschwinden wieder alle.
Endlich erscheint der letzte, der sechste Geist.
Wieder bewegt sich der Vorhang, der auch zweiteilig ist. Aus dem Spalt des Vorhanges blickt zuerst ein Kopf in das mattbeleuchtete Zimmer hinein. Der Kopf ist hoch oben, eine sehr große Gestalt also. Dann entwickelt sich langsam aus dem Vorhange hervor die ganze Figur. Ein wallendes, weißes, wie Nebel zartes Gewand hüllt sie ein. Jetzt kann man den Kopf etwas besser unterscheiden. Kein Zweifel, man hat eine weibliche Gestalt vor sich. Sie scheint halb zu gehen, halb zu schweben. Sie ist viel deutlicher als die früheren fünf Gestalten. Jetzt ist sie ungefähr zwei Schritte weit in das Gemach hineingetre- ten oder hineingeschwebt . . .
Da erhebt sich plötzlich der Kronprinz. Die Händekette ist unterbrochen. Das Signal ist gegeben. Die anderen An- wesenden wissen nicht, was geschehen ist.
Das Signal ist gegeben: der Erzherzog Johann erhebt sich ebenfalls und greift nach der Schnur. Das Wachs, mit dem sie an der Wand befestigt war, löst sich leicht. Ein rascher Zug und —
Und man hört zunächst ein heftiges Zusammenklappen von zwei schweren Gegenständen aus Holz. Was geht da vor? Baron Hellenbach ist aufgesprungen, die übrige Gesellschaft erhebt sich rasch von ihren Sitzen. Soll plötzlich etwas fürchterlich Ungeahntes geschehen?
Der Geist aber ist plötzlich verschwunden.
Die Geisterfalle ist zugeklappt, der Mechanismus hat seine Schuldigkeit getan, der Geist aber ist verschwunden und nur der Vorhang hat eine stärkere Bewegung gezeigt.
Der Kronprinz eilt auf den Vorhang zu. Entschlossen faßt er in eine der schweren Falten desselben hinein; er fühlt einen menschlichen Körper. Da ist der „Geist"!
Der Erzherzog Johann ist nachgeeilt. Aus den Falten heraus entwickelt sich eine — menschliche Gestalt. Der Kronprinz faßt sie bei der linken Hand, der Erzherzog Johann bei der rechten. Noch sieht man auf dem Haupte, an dem Körper der Gestalt einen weißen, schleierartigen Stoff. Aber nur einen einzigen Augenblick. Die Gestalt hat mit einem überaus kräftigen Ruck ihre rechte Hand freigemacht. Dann folgt ein zweiter Ruck, und der weiße, schleierartige Stoff ist verschwunden. Die rechte Hand der Gestalt macht dabei eine blitzschnelle Bewegung gegen die Brusttasche des — Fracks.
Da steht er wirklich der — Herr Bastian in seinem schwarzen Frack. Das ist also der „Geist".
Die Türe mit den guten, starken Federn, sie ist fest ge- schlossen. Als sie mit heftigem Geräusch zusammen- klappte, eilte Bastian auf sie zu. Unmöglich, sie zu öffnen.
Gefangen!
Er sucht ein Versteck in dem Vorhang. Aber da wird er von der Hand des Kronprinzen gefaßt. Er sucht sich zu entwinden, da faßt ihn die Hand des Erzherzogs Johann.
Kein Entrinnen mehr: gefangen!
Das Licht im Gemach wird nun verstärkt. Man kann die ganze Szene klar übersehen.
Das „Medium" Bastian hat in dieser rapiden Szene, da es hinter dem Vorhang hervorgeholt wurde, eine bemer- kenswerte Kraft und eine große Geschmeidigkeit ent- wickelt. Kein Wunder; denn bevor es ein Geistermedium war, soll es ein — Zirkusclown gewesen sein! Er steht nun wieder da in seinem Salonanzug, doch eines fehlt ihm jetzt an seiner Toilette. Und dieses eine kann er nicht erlangen, denn es befindet sich hinter der bösen Klapptüre, der verhängnisvollen Geisterfalle.
Bastian hat nämlich keine Stiefel an. Er steht da im Ballkostüm, aber er trägt bloß Socken an den Füßen, dicke Socken, die den Schritt unhörbar machen. Die Stiefel hatte er ausgezogen, als er hinter dem Vorhange saß, um die „Geister" erscheinen zu lassen . . .
Was soll man mit dem Menschen beginnen? Er stam- melt einige Worte; man sagt ihm, er solle gehen. Der Herr Erzherzog verzichtet darauf, ihn als Betrüger fest- nehmen zu lassen. Das „Medium" schleicht fort auf seinen Socken. Wie es dann weiter gekommen ist nach Hause, das ist nicht bekannt geworden.
Die Gesellschaft blieb noch eine Weile beisammen. Der klägliche Abzug des großen Geistermediums erregte die größte Heiterkeit. Baron Hellenbach hielt einen kurzen Vortrag über den Vorfall, in welchem er den vollkomme- nen Betrug zwar anerkannte, jedoch zu beweisen ver- suchte, daß derselbe nichts beweise. Nicht einmal das, daß Bastian immer ein Schwindler gewesen sei. Diesmal habe zwar Bastian geschwindelt, aber hunderte Male früher nicht. Das sei gewiß; hunderte Male seien durch die Mediumschaft Bastians, durch seine Vermittlung, wirkliche Geister erschienen.
In dieser Art sprach Baron Hellenbach, der, als der Geist erwischt worden war, zuerst in die Worte aus- brach :
„Aber, meine Herren, sehen Sie doch nur, das Medium befindet sich in Trance" (sprich Trans).
Worauf der Kronprinz erwidert haben soll:
„Ich bitte, es scheint mir, es befindet sich in „Zis".
Man ließ sich übrigens mit Herrn Baron Hellenbach in keine Diskussion ein. Er empfahl sich bald und die übrige Gesellschaft blieb noch eine Zeit in heiterem Gespräche beisammen, die interessanten und lehrreichen Vorfälle dieses merkwürdigen Abends erörternd. Ein geistvoller und wohlkombinierter Coup war vollständig gelungen, dem modernsten Aberglauben, dem Spiritismus, eine tiefe Wunde geschlagen.