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Dieses Thema hat 2 Antworten
und wurde 1.410 mal aufgerufen
 Wie war denn das?
Elke K Offline




Beiträge: 17

08.04.2008 12:02
RE: War früher alles besser? Antworten

Hallo zusammen.
Ich stell Euch hier eine Geschichte vor. Sie handelt von Kindheitserlebnissen einer alten Frau in der Nachkriegszeit, verwoben mit ihrem derzeitigen Leben. Nichts Aufregendes, ohne Spannungsbogen und Knalleffekt am Schluss - halt nur eine "Erzähl-Collage".
Vorerst Entwurf, werde ich demnächst die Komponenten noch durch die Erlebnisse zweier Schulkinder, damals und jetzt, ergänzen, bzw. editieren.


War damals alles besser?

Harsch pustet böiger Aprilwind durch mein schütteres Haar. Bestimmt wird sich abends bohrender Kopfschmerz einstellen. Trotz alledem: Ich werde mich nicht daran gewöhnen, eine alte Frau zu sein. Nicht mehr barfuß ausgetretene Lehmwege entlang hüpfen zu können ist bitter, dafür gönne ich mir wenigstens das bisschen Freiheit zerzauster Haare auf meinem Spaziergang. Wachen Auges für meine Umwelt und trotzdem, wie alte Leute nun mal so sind, immer wieder in Gedanken an Vergangenes versunken, schlendere ich weiter ...
Am Spielplatz in unserer Siedlung machte ich Halt. Dort lässt es sich sicher gut verweilen, um ein paar letzte Sonnenstrahlen zu genießen. Ich finde eine leere Bank. Drei Mütter sitzen auf einer anderen und rauchen. Wunderschön herausgeputzte Kleinkinder stehen unschlüssig am Rand der Sandkiste. Der Lenker eines rosafarbenen Kleinkindrades glitzert mit herumliegenden Glasscherben um die Wette.
"Nein!", ruft eine der Frauen barsch über den Platz, "geh da nicht rein, Du wirst schmutzig!"
Ein kleines Mädchen bleibt abrupt stehen, wendet sich fragend um und entfernt sich dann zögernd vom Sandkasten in Richtung Klettergerüst.
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Niemand hatte unser Weggehen bemerkt. Die Erwachsenen waren mit ihren frühabendlichen Verrichtungen zu beschäftigt, um sich um unser Verschwinden zu kümmern. Mutter versorgte ihren alten Vater, der bettlägerig im Dachstübchen lebte und Vater hackte hinterm Schuppen Holz.
Friedel, der Älteste, er ging seit letztem Sommer zur Schule, streifte zuerst Schuhe und Strümpfe ab. Wir taten es ihm gleich und krempelten zudem noch unsere schmutzstarrenden, feuchten Hosenbeine hoch. Endlich Frühling! Es roch nach frisch gemähtem Klee und Abenteuer. Die Luft war erfüllt vom Tschilpen der Sperlinge, Lerchengesang und Kibitzgeschrei. Aber das war uns egal.
Hans greinte. Dem Kleinsten war das nasse Gras zu kalt. Also zog ich ihm fürsorglich Wollsocken und Schuhe wieder an.
Von weitem erklang Hufgeklapper! Hell, metallen und durchdringend kam es immer näher. Dann hörten wir Flüche und lautes Knallen einer Peitsche. Ein Karren kam! Gleich war er da.
Flink versteckten wir uns hinter der Milchpritsche und warteten ab. Evi kicherte.
"Pssst! Sonst gibts Ärger!". Friedel hielt ihr den Mund zu.
Bauer Randers hiefte mehrere schwere Zinkkannen auf die Eichenbohlen. Er wendete das Fuhrwerk und die nun nicht mehr mürrischen Haflinger trabten erleichtert dem heimatlichen Stall und gefüllten Futtertraufen entgegen.
Evi nahm eine verbeulte Suppenkelle, die hatte sie von zu Hause stibitzt, und klopfte lachend aufs Holz. Friedel hatten große Mühe, den verbeulten Deckel von einer der Kannen zu entfernen. Endlich geschafft! Meine Schwester durfte zuerst trinken. Dann klein Hans. Und dann Friedel. Ungeduldig wartete ich, bis ich endlich an der Reihe war. Wie gut die Milch schmeckte. Lauwarm war sie noch, sehr fettig und roch ein wenig nach Rübensilage. Wir tranken abwechselnd Kelle um Kelle und stillten unseren Durst. Später gab es kein Abendbrot, das war gewiss. Schließlich war es uns bei derartiger Strafe verboten, nach Hereinbrechen der Dämmerung draußen herum zu ziehen. Also schnell noch ein paar Schlucke. Das machte satt.
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Schnatternd stehen die Mütter auf. Eines der Kinder steigt aufs Rad, lässt sich zur Umzäunung schieben. Stützräder quitschen. Eine der Frauen verteilt mitgebrachte Trinkpäckchen an die Kleinen, eine andere rot-weiß eingepackte Schokoriegel. Papier und Zigarettenkippen werden achtlos weggeworfen. Während die Schar an mir vorüberzieht, fange ich ein paar Gesprächsfetzen auf.
"... will immer nur Süßes essen. Oder Nudeln mit Ketchup".
"... werde nachher gleich ihre Sachen waschen. Ich komm nicht mehr hinterher. Andauernd sitzt sie im Dreck".
"Im Kindergarten war sie heute draußen im Gelände. Die Grasflecken bekomm' ich nicht mehr raus".
"Katharina! Nicht aufheben. Das ist Bäh! Komm jetzt endlich! Gleich gibt's Sandmännchen."
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Direkt über uns leuchete die einzige Straßenlaterne des Asphaltierten Weges. So spät war es schon? Zwei Katzen schlichen zögernd näher, duckten sich scheu und schleckten dann vorsichtig ein paar Milchtropfen von festgetrampelten Grashalmen. Schnell nach Hause! Wir rannten los ohne zu merkten, dass wir Schuhe und Strümpfe vergessen hatten.
Mutter wartete schon grimmig an der Haustür.
"Na, ihr Rabauken! Wo habt ihr euch wieder rumgetrieben? Hatte Vater DAS nicht ausdrücklich verboten?"
Hans krähte, ehe ich ihm den Mund zu halten konnte: "Wir waren Milch trinken. Evi hat 'ne Schöpfe gehabt!"
Mutters Mine wurde noch düster. Dann schimpfte sie uns barsch aus. War ja klar - wir mussten uns waschen und wurden ohne Abendbrot ins Bett geschickt. Mutter machte sich währenddessen auf den Weg, unsere Schuhe zu holen. Kichernd verzogen wir uns in die Etagenbetten und flüsterten noch lange von unserem abenteuerlichen Frühlingsausflug. Hans schlief bereits tief und fest. Irgendwann spät am Abend hörte ich Mutter draußen auf dem Hof hin und her gehen. Sie räumte den Backofen aus. Die eiserne Tür quitschte durchdringend. Morgen würde es frisches Brot geben.
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Glasscherben funkeln im Neonlicht der vielen Straßenlaternen um mich herum. Mühsam erhebe ich mich und schlurfe vom Spielplatz. Mein Rücken tut weh, die Beine wollen nicht in Gang kommen. Mir ist kalt. Unterwegs begegnet mir ein Tross Jugendlicher. Sie trinken abwechselnd aus einer Schnapsflasche. Ein schwarzes Plastikungetüm, von einem der Jungs auf der Schulter getragen, knallt Bässe und stotternden Sprechgesang in den vormals friedlichen Frühlingsabend. Ich wende mich ab und gehe nach Hause.
Lähmende Stille empfängt mich. Mein erster Handgriff - Fernseher anschalten - Nachrichten gucken.
" ... bei dem Anschlag wurden mehr als achzig Personen getötet und weit über hundert verletzt, darunter viele Kinder. UN-Truppen riegelten das Gebiet weiträumig ab. Und nun der Wetterbericht ..."
Ich schmier mir ein Brot, lausche den Vorhersagen und einer Unwetterwarnung für die Nordfriesischen Inseln und setze mich vor den Fernseher. Gleich kommt ein Krimi. Etwas Spannung in der Tristesse und Einsamkeit kann ich gut brauchen, auch wenn ich wahrscheinlich, wie fast jeden Abend über den Film einschlafen werde.
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Am nächsten Morgen rüttelte mich Vater wach. Friedel war längst auf dem Weg zur Schule, Hans schnarchte leise. Noch schlaftrunken blinzelnd, bekam ich eine schallende Ohrfeige.
"Das ist dafür, dass Du nicht gefolgt bist. Und fürs Stehlen! Zur Strafe mistest Du heute den Hühnerstall aus und darfst eine Woche nicht vom Hof. Wehe, ich erwische dich! Friedel wird heute Fahrräder putzen! Und zwar alle!"
Dann bekam ich noch einen derben Knuff, der mich aus dem Bett trieb.
Ich zog mich rasch an. In der Küche rührte Mutter schwitzend mit einem großen Holzlöffel in einem Bottich herum. Heute war Waschtag. Wassertröpfchen zischten auf der Herdplatte und orangefarbene Flammen züngelten lichterloh durch einen Spalt zwischen den Ofenringen. Es roch nach Birkenholz und frisch geriebener Kernseife. Stumm, hervorquellende Tränen verdrückend, auf neues Geschimpfe wartend, aß ich ein krosses Butterbrot mit frisch geschöpftem Quark.
"Da weißt, was Vater gesagt hat, also marsch in den Hühnerstall!", unterbrach Mutter mein stummes Frühstück und scheuchte mich mitsamt dem Brot auf den Hof.
Das Ausmisten dauerte bis zum Mittag. Ich mühte mich redlich. Mehrmals kippte die Schubkarre mit der stinkenden Fracht um oder blieb auf dem lehmigen Grund zum Misthaufen stecken. Vater war längst in den Wald gegangen und zersägte dort morsche, vom Frühjahrssturm gefällte Buchenstämme zu Brennholz.
Mutter schickte mich mit seinem Mittagessen zum Wäldchen. Mit gefülltem Kochgeschirr zog ich los.Wie ich seinen neuerlichen Wutausbruch fürchtete! Aber das war unbegründet. Sein Zorn war verraucht. Kaum angekommen, zeigte er mir lachend ein paar gesammelte Kiebitzeier. Eins davon durfte ich ausschlürfen, die anderen behielt er für Mutter. Alles war wieder gut.
Auf dem Rückweg traf ich Friedel. Ich sah ihn schon von weitem auf dem rostigen, viel zu großen Fahrrad den Feldweg entlang radeln. Das Rad flog an den Grabenrand, die Schultasche daneben. Und dann wateten wir schwatzend durch seichtes, eiskaltes Wasser. Wir entdeckten die ersten Kaulquappen dieses Jahres. Manche hatten sogar schon kleine schwarze Vorderbeinchen. Friedel kramte seine Frühstücksbüchse hervor. Wir schöpften Wasser hinein und ein paar Tierchen. Lange saßen wir im Gras und beobachteten das schlingernde Umherschwimmen der Froschbabys. Später fingen wir noch Wasserskorpione und Köcherfliegen. Wir vergaßen die Zeit. Als wir uns endlich mit unserem Fang auf den Heimweg machten, dämmerte es bereits.
Diesmal stand Vater am Tor. Wir bekamen die erwarteten Ohrfeigen, aber hinterher wenigstens Abendbrot. Allerdings mussten wir zur Strafe draußen im Stehen essen, danach waschen und sofort ins Bett. Das machte uns aber gar nichts aus. Während die Eltern in der Küche leise miteinander plauschten, schlich Friedel hinaus. Er holte seine Frühstücksdose vom Gepäckträger und stibitzte ein Einmachglas aus dem Keller. Später beobachteten wir noch lange im Schein einer Taschenlampe träge umher schwimmende Kaulquappen in unserem neuen Aquarium.
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Am Morgen dusche ich lange und ausgiebig. Das Radio dudelt irgend einen Werbespot, einziger Trost in meiner morgendlichen Einsamkeit. Helles Kinderlachen, dann verspricht eine quäkende Stimme Rundumgesundheit durch Multivitaminsaft.
Grau und neblig ist es draußen. Es nieselt. Diesmal mit Hut, mache ich mich auf den Weg. Zuerst zum Bäcker. Zu spät. Brötchen sind aus. Dort treffe ich eine Nachbarin. Sie will zum Supermarkt. Ich begleite sie und kaufe auch ein paar Kleinigkeiten ein. Wurst, Quark und heiße, aufgebackene Brötchen aus dem Backshop. Dann gehen wir zur Reinigung und holen meine Bettwäsche ab.
Ein Bus hält neben uns. Lärmend drängeln sich Schulkinder fast gleichzeitig heraus. Ich beobachte drei halbwüchsige Mädchen, die sich abwechselnd über die Schultern gucken und dabei kichernd auf kaum handgroße Geräte tippen. Schnarrende Melodien ertönen. Die Dinger machen ja Musik! Ein Junge gesellt sich hinzu. Kramt seinerseits ein schwarzes Plastikteil hervor und hält es in Augenhöhe vor die Mädchen. Das Ding gibt ein kurzes "Klick" von sich. Erneutes Gekicher. Nun beugen sich alle über das Gerät. DAS macht anscheinend sogar Fotos.
Meine Nachbarin verabschiedet sich. Sie will noch im Altenheim vorbei gehen, ihre senile Schwester besuchen. Die Bettwäsche wiegt schwer. Hätte ich doch meinen Trolley mitgenommen. Nur noch um die nächste Straßenecke, dann bin ich endlich zu Hause.
Da! Hufgeklapper! Hell, metallen und durchdringend. Braun glänzende Pferde traben vorbei. Sie ziehen eine Hochzeitskutsche.
Es klingt wie damals.
Ja - damals war alles besser. Und jetzt habe ich Appetit auf ein Glas Milch.

(c) Elke Kemna

Nachtrag: Eigentlich wollte ich den Text mit verschiedenen Schriften formatieren, um so Vergangenheit und Gegenwart besser von einander abzugrenzen. Das ging leider nicht.

dunkelland Offline




Beiträge: 154

09.04.2008 22:37
#2 RE: War früher alles besser? Antworten

Einen schönen guten Abend Elke



Zunächst einmal, ich habe dieses Text sehr gerne gelesen.
Du hast schon recht, es ist wohl eine Collage, aber manche Texte genügen sich meines Erachtens schon selbst um lesenswert zu sein. Was mich jetzt natürlich interessiert: War es damals wirklich besser? Das lese ich an verschiedenen Stellen immer wieder heraus, am Ende natürlich dann direkt, aber - wie gesagt- auch ganz grundsätzlich.

Der Wechsel zwischen heute und damals ist gelungen. Das ist nicht immer ganz einfach, Übergänge wollen gekonnt geformt sein, hier, finde ich, ist das gut gelöst und bietet schönen Kontrast.

Vielen Dank für diesen Text, der übrigens schöne Bilder im Kopf entstehen läßt.

LG Willy

http://dunkelland.blogspot.com/

Elke K Offline




Beiträge: 17

10.04.2008 10:32
#3 RE: War früher alles besser? Antworten

Guten Morgen Willy
danke erst einmal recht herzlich für Deinen ausführlichen Kommentar.

Um auf Deine Frage zu antworten:
Ich meine, Gegensätze von früher und heute aufzuzeigen, ist recht einfach. Schließlich muss man nur ein bisschen in seinen Erinnerungen kramen.
Zwischen 1958 (da war ich sechs Jahre alt) und 2008 hat sich vieles verändert. Technik, Wohlstand, Medien, Forschung; in allen Bereichen der Kommunikation findet ein rasanter Wandel statt.

Die in der Collage geschilderten Erlebnisse kann ich nicht wertend gegenüberstellen, denn ich glaube, dass dies nur jemandem gelingen würde, der - sagen wir mal - in 10 Jahren Kind ist und dann fünfzig Jahre später meine "Erzählung" reflektiert und seinem Leben gegenüberstellt.
Ich bin nicht neutral, lebte und lebe ich doch in beiden geschilderten Zeiten. Also kann ich nur von meinem Standpunkt, aus der eigenen Kindheit und Gegenwart heraus, urteilen.

Trotzdem ein persönlicher Versuch:
Nein, früher war keinesfalls alles besser. Es gab viele unheilbare Krankheiten (Kinderlähmung und Scharlach z. B.), Fast alle Menschen mussten fürs tägliche Brot hart arbeiten, der Weg zu guter Allgemeinbildung war den meisten Kindern aus einfachen Familien in Dörfern und Randgemeinden verschlossen. Vom gesellschaftlichen Stand der Mädchen und Frauen ganz zu schweigen.
Andererseits gab es zusammenhängende, verlässliche Familienstrukturen, meist innerhalb mehrerer Generationen. im Guten wie auch im Bösen: Man war füreinander da und lebte miteinander.
Die Vorzüge der heutigen Zeit brauche ich wohl nicht ausführlich darzulegen. Sie sind uns allen gegenwärtig.
Negativ empfinde ich allerdings, dass immer mehr Kinder seelisch verarmen, Menschen allein vor sich hin leben und soziale Armut (wieder) Einzug in viele Familien gehalten hat.

Früher haben Bauern mit Pferden Furche um Furche gezogen, Kühe per Hand gemolken und gingen zwangsläufig sorgsam mit der Natur und den Rohstoffen um. Heute verseuchen Pestizide und Herbizide die Flure, Monokulturen überall, um immer mehr Profit zu erzielen. Ganze Tiergattungen, bzw. Tierarten werden ausgerottet, Klima schädigende Rodungen, etc..
Unser blauer Planet leidet unsäglich.

Ich könnte jetzt ellenlang Beispiel um Beispiel aneinander reihen - und die Frage wäre m. E. doch nicht eindeutig zu beantworten.

Jede Generation erfährt in der Zeit in der sie lebt, Vorzüge und Nachteile.
Das Einzige was mir in den letzten Jahren subjektiv auffällt: Ich habe das Gefühl, dass sich die Welt einer unaufhaltsamen Katastrophe nähert.
Aber vielleicht ist diese Wahrnehmung auch nur eine Sache des (eigenen) Alters?

Gruß
Elke

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